Empathie, was bedeutet das
Hier nun, wie angekündigt, der von Regine Pfeiff ausgearbeitete Vortrag.
Empathie ist in der Fachwissenschaft ein viel untersuchtes Phänomen, in unserer Alltagssprache ist sie ein gerne benutzter Begriff. Doch was bedeutet Empathie eigentlich?
Es sei gleich vorweggesagt: Es existiert keine allgemein anerkannte Definition von „Empathie“ - weder unter Fachleuten noch unter Laien. Eine Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass der Begriff so mehrdeutig verwendet wird. Gemäß alltagssprachlicher Verwendung und auch nach einigen zentralen Theorien werden Mitgefühl und Empathie als weitgehend gleichbedeutend verstanden – im Sinne von anteilnehmendes Mitfühlen dessen, was die andere Person fühlt. Andere plädieren für eine klare Unterscheidung. Für sie ist Empathie gar kein Gefühl, sondern eine Fähigkeit; es ist die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen; das Einfühlungsvermögen.
Mehr Einigkeit gibt es über einzelne Facetten des Phänomens: Heute werden zwei Arten der Empathie unterschieden. Zum einen die emotionale und zum anderen die kognitive Empathie. Emotionale Empathie besteht aus dem Nachempfinden der Gefühle anderer Menschen. Kognitive Empathie ist das Vermögen, fremde Gefühle, Gedanken und Handlungsmotive zu verstehen und nachzuvollziehen.
Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen. Dabei spielen auch unsere eigenen Erfahrungen eine Rolle. Um die Gefühle eines anderen zu erfassen, muss man nonverbale Zeichen zu deuten wissen: den Klang der Stimme, eine Geste, den Gesichtsausdruck und dergleichen. Bei der emotionalen Empathie besteht die Gefahr, von den Gefühlen überwältigt zu werden und in empathischen Stress zu geraten. Davor gilt es sich zu schützen.
Die kognitive Empathie bezieht sich darauf, sich verstandesmäßig in die Gedanken, Gefühle und Perspektiven anderer hineinzuversetzen. Dazu ist die Fähigkeit eines Perspektivenwechsels notwendig. Wenn wir mit Anderen empathisieren, wollen wir verstehen, wie sie die Welt sehen. Zwar können wir die Gedanken anderer Menschen nicht im wörtlichen Sinne lesen, aber wir nehmen Hinweise auf, die sie mit dem Tonfall, ihrer Mimik und ihren Blicken vermitteln; wir lesen bei dem, was sie sagen und tun, zwischen den Zeilen und kommen so meist zu erstaunlich genauen Schlussfolgerungen
Emotionale und kognitive Empathie sind vermutlich zwei verschiedene, voneinander unabhängige Kompetenzen. Tatsächlich vermutet man heute, dass für beide Empathiearten verschiedene Zentren im Gehirn zuständig sind, dass zwei übergeordnete Netzwerke im Gehirn existieren. Das eine ist aktiv, wenn wir uns einfühlen, also emotionale Empathie zeigen. Das andere springt an, wenn wir gedanklich, die Perspektive einer anderen Person einnehmen, also kognitive Empathie zeigen. Im Normalfall sind aber wohl immer beide Systeme aktiv, wenn wir uns in jemanden einfühlen.
Der Hauptunterschied zwischen den verschiedenen Empathiearten liegt in der Art und Weise, wie diese das Verhalten beeinflussen. Kognitive Empathie ermöglicht es, die Perspektive anderer zu verstehen, was zu besserer Zusammenarbeit und erfolgreichen Problemlösungen führen kann. Emotionale Empathie äußert sich hingegen oft in Mitgefühl, das guttut.
In den 2010er Jahren wurde der Begriff der sozialen Empathie in die Debatte eingebracht. Dabei handelt es sich nicht um einen weiteren Mechanismus der Einfühlung, denn emotionale und kognitive Empathie sind die Basis der sozialen Empathie. Es geht um die Frage, worauf sich die Empathie richtet. Soziale Empathie bezeichnet die Fähigkeit, die Belange und Interessen von Gruppen zu verstehen. Denn eine Gruppe funktioniert anders als eine Interaktion zwischen zwei Menschen, da sich in ihr Prozesse, Handlungsweisen, Kooperationen, aber auch Konflikte entwickeln, die sich nicht mehr aus Einzelperspektiven heraus erklären lassen (Gruppendynamik).
Die Fähigkeit der Empathie setzt sich aus 4 Säulen zusammen:
Wahrnehmung: Wie geht es dem/der anderen? Wie fühlt sich der andere? Ich achte auf Gestik, Mimik, Körpersprache, Aussagen, Stimme, spürbare Emotionen.
Verständnis: Warum geht es ihm so? Was ist der Grund? Ich suche nach Ursachen, Motive, Umstände.
Resonanz: Wie reagiere ich darauf? Mit Rücksicht, Worte, Handlung, Mitgefühl, Akzeptanz.
Antizipation: Wie wird der andere/mein Gegenüber weiterhin/auf mich reagieren? Wie kann ich daraufhin helfen? Es geht emotional als auch rational.
Der Prozess der Empathie ist noch wenig erforscht. Das gilt für den Prozess im empathisierenden Subjekt selbst: Wie ist es möglich, im Selbst die Gefühle und Phantasien eines anderen zu erfahren und ihm auch zuzuordnen? Für den Prozess, der im Anderen abläuft: Was empfindet und erwartet die Person, mit der empathisiert wird? Und für den Prozess zwischen den Personen: Ist es nicht so, dass sich Empathie im Dialog entwickelt und auch weiterentwickelt? Insgesamt zeigt sich, wie anspruchsvoll und komplex Empathie ist.
Für die Fähigkeit der Empathie gibt es einige Voraussetzungen:
Das Selbstkonzept, bei dem es um die Werte geht, die ich verinnerlicht habe, die Motive, von denen ich angetrieben werde, oder die Erfahrungen, die mich im Laufe meines Lebens geprägt haben. Das Konzept des „Anderen“ ist nur dann sinnvoll zu denken, wenn man das Konzept „Ich“ oder das Konzept „Selbst“ denken kann. Um die Perspektive zu wechseln, ist es nötig, über eine eigene Perspektive, ein „Selbstkonzept“, zu verfügen.
Eine (gesunde) Selbstwahrnehmung ist die Grundlage der Empathie. Je offener man für seine eigenen Emotionen ist und je besser man sich selbst versteht, desto besser kann man die Gefühle anderer deuten und damit umgehen.
Die Selbsttranszendenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale anderer Personen zu erkennen.
Das Selbstmitgefühl (Gesundes Mitgefühl) heißt, sich auch der Einfühlung in die eigene Gefühls- und Erlebniswelt widmen. Selbstverständlich ist das allerdings nicht. Es steigert nicht nur die Resilienz, es tut auch unmittelbar dem Körper gut. Es beruht auf dem Wissen, dass man schon gut ist, so wie man ist.
Die Menschenkenntnis ist die Fähigkeit, ein Individuum in Bezug auf seine Persönlichkeit, insbesondere hinsichtlich bestimmter Eigenschaften zu beurteilen, wobei der Erfahrung eine nicht geringe Bedeutung zugeschrieben wird. Empathischen Menschen fällt es leichter, zu erkennen, was andere Menschen denken, fühlen oder wollen.
Offenheit gegenüber fremden Werten. Wenn man sich der Tatsache bewusst ist, dass Werte zumindest teilweise ein Zufallsprodukt der Prägungen und Erfahrungen unserer Vergangenheit sind, fällt es uns leichter, die eigenen Werte nicht zu verabsolutieren und stattdessen andere Werte neben uns zu akzeptieren.
Empathie als Haltung ist eine zugewandte Haltung gegenüber anderen Menschen.
Mit wem oder was empathisieren wir?
Wir würden völlig überfordert werden, wenn wir uns auf jeden Menschen in unserem Umfeld empathisch einlassen würden. Es gibt Situationen, in denen wir eher bereit sind, empathisch und sensibel auf unsere Mitmenschen zu reagieren, während wir in anderen Momenten nichts für sie übrighaben. Auch wissen wir wohl aus alltäglicher Erfahrung, dass wir nicht auf jede Person in unserer Umgebung „spiegelnd“ reagieren, sondern dass wir sehr genau selektieren, auf wen wir unsere Aufmerksamkeit und unser Bedürfnis zu verstehen lenken.
Empathie braucht zweierlei: einen Filter, mit dessen Hilfe wir auswählen, worauf wir reagieren, und einen Knopf zum Abschalten. Wie jede emotionale Reaktion hat sie ein „Tor“, eine Situation, die sie in der Regel auslöst oder der wir gestatten, sie auszulösen.
Empathisch sein heißt auch, wir sind fähig, die eigenen Gefühle für eine Weile zu unterdrücken, um uns auf andere zu konzentrieren. Umgekehrt gilt: Wir können Empathie unterdrücken, wodurch andere uns gleichgültiger werden.
Es gibt einen angeborenen Kern der Fähigkeit zur Einfühlung, aber grundsätzlich gilt auch: Empathie ist lernbar.
Empathie ist eine Haltung und Fähigkeit, die wir zwar in der frühen Kindheit grundlegend erlernen, deren weiterer Entwicklungsprozess aber noch nicht abgeschlossen ist.
Die Betonung der bewussten Seite von Empathie zeigt, dass sie sich absichtsvoll trainieren und gezielt anwenden lässt. z.B. mit Übungen, die das Verständnis für Gefühle und Gedanken anderer fördern. Dabei geht es weniger darum, die affektive Empathie, also das Mitfühlen zu steigern, sondern vielmehr, das Verständnis für die Perspektiven und Gedanken anderer zu vertiefen.
Die Grenzen der Empathiefähigkeit
Dazu zählen v.a. Erkrankungen wie z.B. Autismus, spezielle Formen der Demenz, andere Erkrankungen des Gehirns.
Die Bedeutung der Empathie sieht man sowohl auf der Ebene des Einzelnen, auf der Ebene von Gruppen bzw. Gemeinschaften, auf der Ebene von Gesellschaft als auch auf der Ebene von Beziehungen. Es ist angenehm für jene, die spüren, dass man mit ihnen fühlt, dass sie verstanden werden. Offener und einfühlsamer zu sein, ist ein Schlüssel zu einem gelingenden sozialen Leben. Unsere Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, die Welt durch ihre Brille zu betrachten und uns, um Andere zu sorgen, sind elementar für unsere Entwicklung, unsere soziale Kognition, soziale Kooperation, für unser Fremd- und Selbstverständnis und wichtig, um uns als Menschen weiterzuentwickeln. Einfühlungsvermögen macht hilfsbereit und fördert gesellschaftsdienliches Verhalten. Sie ist von essenzieller Wichtigkeit für menschliches Zusammenleben. Es ist das gesunde Gefühl der Zusammengehörigkeit. Der Erfolg unseres sozialen Zusammenlebens hängt davon ab, ob wir Andere gut verstehen können (Alltag). Sie hilft, Konflikte zu antizipieren und zu vermeiden. Empathie gilt als wichtige Grundlage für die Entwicklung eines moralischen Kompasses.
Beide Empathiearten bilden eine Grundlage für gegenseitiges Verständnis, für Konflikte und deren Lösungen, für Kooperation und für solch alltägliche Dinge wie gemeinsame Hobbys, Freundschaft, Trauer und Trost.
So bedeutungsvoll Empathie für uns alle ist, es gibt auch eine dunkle Seite der Empathie (Fritz Breithaupt). Auf Seiten des empathisierenden Menschen kann übermäßige Empathie zu Erschöpfungsstörungen führen (Empathische Erschöpfungsstörung). Ein hoher Grad an kognitiver Empathie kann dazu führen, dass man sich zu sehr auf die Probleme und Bedürfnisse anderer konzentriert, sodass die eigenen Interessen und Bedürfnisse vernachlässigt werden. Empathie macht manipulierbar. Wer gezielt an unser Einfühlungsvermögen appelliert, erreicht damit leichter seine Ziele. Empathische Personen können aber auch selbst ihre Gabe dazu nutzen, andere zu beeinflussen (Missbrauch für manipulative Zwecke). Da Empathie erlernbar ist, kann sie durchaus destruktiv sein und zu furchtbaren Verbrechen missbraucht werden. Fatalerweise beruhen auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit häufig auf der Fähigkeit zur Empathie. Auch Grausamkeit beruht auf einer besonders perfiden Form der Perspektivenübernahme (Verbrechen mithilfe der Empathie).
Bücherliste
Werner Bartens:
empathie die macht des mitgefühls
Weshalb einfühlsame Menschen gesund und glücklich sind
DROEMER
Dr. Tobias Hainz:
Empathie
Wie Sie Menschen lesen, Gefühle nachempfinden und Verständnis entwickeln
Frans de Waal:
Das Prinzip Empathie
Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können.
Hauser
Susanne Schmetkamp:
Theorien der Empathie zur Einführung
Junius
u.a.m.